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3
. Kapitel: Sozialpolitische Blockadeknoten

2. Schaubild: Sozialpolitische Blockadeknoten

Das heutige Sozialsystem ist ein unüberschaubares Dickicht aus Institutionen und Leistungen, in dem selbst Sozialbürokraten und spezialisierte Anwälte die Übersicht verlieren. Dabei krankt das System im Inneren an Problemen, die durch seinen institutionellen Aufbau  entstehen (endogene Probleme, vgl. 2.1). Nach außen leidet es unter einer mangelnden Reaktionsfähigkeit, um dem Wandel im wirtschaftlichen Umfeld und der Gesellschaft adäquat zu begegnen (exogene Probleme, vgl. 2.2 ). Diese Problemkomplexe bedingen viele Ungerechtigkeiten (2.3 ). In der Summe kommt dies im sozialpolitischen Blockadeknoten zum Ausdruck, der die Akzeptanz und Legitimation der Sozialpolitik in Frage stellt.

 
   

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3.1 Institutionelle Probleme: Bürokratisierung, Ineffektivität, Intransparenz und Ineffizienz Seitenanfang

Gegensätzliche Ziele innerhalb ein und desselben Sozialversicherungssystem: Vorsorge und Fürsorge Schon der Erfinder des Umlageverfahrens, Wilfried Schreiber, forderte eine „radikale Unterdrückung von Staatszuschüssen zur Sozialversicherung“. Heute werden die Rentenleistungen zu zwei Dritteln aus Beiträgen und zu einem Drittel aus Steuern finanziert – eine problematische Vermischung der Handlungsmaximen .

Ineffektivität durch unklare und mangelhafte Verteilung von Aufgaben und Zuständigkeiten: Auf unterschiedlichen staatlichen Ebenen bis hin zur EU ist ein unübersichtliches Konglomerat an Institutionen entstanden, die sich teilweise gegenseitig behindern. Oft ist ein sozialpolitischer Verschiebebahnhof die Folge, Kosten der einen staatlichen Ebene werden auf die andere überwälzt. So erfolgen einige der Konsolidierungsmaßnahmen im Bundeshaushalt auf dem Rücken der Sozialversicherung.

Intransparenz: Je nach politischer Lage ändert sich die Sozialpolitik, eine klare Linie ist nicht erkennbar. Die Bürger sind verunsichert, obwohl die sozialen Sicherungssysteme eigentlich als Stabilisatoren der Gesellschaft gedacht sind. So steigt in wirtschaftlich schwierigen Zeiten die Sparquote, weniger Geld fließt in den Konsum – und die Krise verschärft sich.

Ineffizienz: Die Komplexität der Sozialbürokratie führt zu enormen Verwaltungskosten und ineffizienten Strukturen. So zählte die „Arbeitsgemeinschaft Selbständiger Unternehmer“ (ASU) im Jahr 2005 2.197 Gesetze und 46.779 Einzelvorschriften, die der Gesetzgeber in Deutschland erlassen hat. Sie unterliegen ständigen Änderungen und Ausbesserungen, was zu einer Zersplitterung von Zuständigkeiten führt. Diese Entwicklung betrifft auch die Sozialbürokratie, wobei die Kosten für die Verwaltung immer weiter steigen.


3.2 Mangelnde Reaktionsfähigkeit auf die Veränderungen in der Wirtschaft und Gesellschaft: Belastung des Faktors Arbeit und Wegbrechen der Einnahmen Seitenanfang

Neben den endogenen institutionellen Problemen wird das Sozialsystem vor allem durch exogene Einflüsse belastet. Volatiles wirtschaftliche Umfeld sowie gesellschaftlicher Wandel führen zu hohen Belastung des Faktors Arbeit und zum Wegbrechen von Einnahmen (Versicherungsbeiträge und Steuern).

  1. Europäisierung und Globalisierung: Deutschland muss sich immer mehr dem internationalen Kosten- und Steuerwettbewerb stellen, je stärker das Land in die EU eingebunden wird, und die Globalisierung fortschreitet. Diese „Globalisierungsfalle“ (Seeleib-Kaiser) führt zu Verlusten bei den Steuereinnahmen und einem Beitragsrückgang für die Sozialversicherung. Hinzu tritt die Problematik des „semi-souveränen Staates“ (Leibfried/Pierson) - immer mehr sozialpolitische Kompetenzen werden an EU-Behörden abgegeben. Es entsteht eine unklare Aufgabenverteilung zwischen Markt, Staat und Gesellschaft. Das gilt auch für Bund, Länder und Gemeinden – eine Politikverflechtungsfalle (Scharpf, 1985) ist die Konsequenz: Verantwortlichkeiten vermischen sich, die vertikale Gewaltenteilung wird geschwächt, und es kommt zu einer beschränkten Handlungsautonomie der einzelnen Ebenen. In der EU sind die Interessengruppen noch mehr verflochten, und die Macht der Lobbies ist groß – eine Entflechtung der Systeme scheitert an ihrem Widerstand, weil sie ihren Einfluss nicht aufgeben wollen.
  2. Technologische Entwicklungen: Die Produktivität ist in Deutschland enorm gestiegen, zwischen 1948 und 1965 um 300 Prozent, zwischen 1970 und 1995 hat sie sich verdoppelt. Das Rationalisierungspotential ist immer noch hoch. Die Folge: Massenarbeitslosigkeit, ohne das ein Ende abzusehen ist. Diese Entwicklung spiegelt sich auch in der Zusammensetzung der Investitionen, die deutsche Unternehmen in den 90er Jahren tätigten: Etwa 40 Prozent aller Ausgaben entfallen auf Rationalisierungsinvestitionen, Produktinnovationen und Erweiterungsinvestitionen haben lediglich einen Anteil von 20-30 Prozent.
  3. Strukturwandel von der Industriegesellschaft zur Dienstleistungsgesellschaft: Immer mehr atypische Beschäftigungsmodelle außerhalb der Sozialversicherung ersetzen das klassische Normalarbeitsverhältnis. Dabei wird oft die soziale Absicherung vernachlässigt, soziale Segregation ist die Folge. So zahlen immer weniger Erwerbstätige tatsächlich 45 Jahre in die Rentenversicherung ein. Stattdessen kommt es zu Phasen von Beschäftigung und Nicht-Beschäftigung, Freisetzungen durch technologische Innovation sowie Arbeit in der „Schattenwirtschaft“ oder auf Minijob-Basis.
  4. Konjunkturelle Schwankungen: Durch die Globalisierung der Märkte ist die wirtschaftliche Entwicklung noch unberechenbarer geworden, ein stark elastisches Arbeitsvolumen ist die Folge. Dadurch schwanken die Beitrags- und Steuereinnahmen stärker – die Ausgaben für das Sozialsystem bleiben konstant bzw. steigen in Krisenzeiten, während die Einnahmen sinken. Die klassischen Konjunkturzyklen sind nicht mehr so ausgeprägt, was man an den rückläufigen Wachstumsraten in Deutschland seit dem zweiten Weltkrieg erkennen kann.
  5. Überalterung der Bevölkerung: Durch den demographischen Wandel in der Gesellschaft stehen immer weniger Steuer- und Beitragszahler immer mehr Leistungsempfängern gegenüber. Laut Prognose des Bundesinstitutes für Bevölkerungsforschung (BiB) wird sich die Bevölkerung in Deutschland bis 2050 auf etwa 75 Millionen verringern, selbst wenn jährlich 200.000 Menschen zuwandern. Die über 60jährigen würden dann 37 % der Bevölkerung stellen.
  6. Hohe Belastung des Faktors Arbeit: Gegenwärtig werden etwa 42 % des Lohnes abgeführt. Dabei entfallen auf die Rentenversicherung 19,5 %, auf die Krankenversicherung zwischen 12 und 14,5 %. Die Pflegeversicherung schlägt mit 1,7 % zu Buche, Kinderlose zahlen 0,25 Prozentpunkte mehr. Die Arbeitslosenversicherung macht 6,5 % des Einkommens aus. Die hohe finanzielle Belastung eines jeden regulären Arbeitsverhältnisses führt zu Beschäftigungen außerhalb der Sozialversicherungssysteme und zur Abwanderung von Arbeitsplätzen in Billiglohnländer  Durch Schwarzarbeit wurden im Jahr 2003 schätzungsweise 370 Milliarden Euro erwirtschaftet, das entsprach 22,6 % des BIP. Die Folge: Dem deutschen Sozialsystem gehen wichtige Einnahmen verloren.
  7. Konzentration auf den Lohn: Es gibt nicht nur eine hohe, sondern auch eine einseitige Belastung des Faktors Arbeit, andere Einkommensarten bleiben in der Regel unberücksichtigt, geringe Einnahmen durch Konzentration auf den Lohn. Um Steuern und Versicherungsbeiträge zu berechnen, werden fast ausschließlich Löhne und Gehälter herangezogen, während sonstige Einnahmen nicht berücksichtigt werden. Beispiel Krankenversicherung: Bürger mit hohen Einkommen und bester Gesundheit werden von diesem solidarischen System nicht erfasst. Denn in der gesetzlichen Krankenversicherung besteht eine „Solidarität der Schwachen“ – Besserverdienende, Beamte und Selbstständige können sich privat versichern.
  8. Pluralisierung individueller Lebenslagen und Lebensverläufe: Die gesellschaftlichen Leitmotive haben sich gewandelt. War das Lebensmotto zu Bismarcks Zeiten noch „Lebe, um zu arbeiten“, so heißt die Maxime heute: „Arbeite, um zu leben“. Angesichts des materiellen Wohlstands tauchten Selbstentfaltung, Lebensqualität und Identitätssuche als neue Ziele auf. Trotz dieser Individualisierung begannen aber auch immer mehr Menschen, die finanziellen Spielräume im Sozialsystem auszunutzen. So entstand eine gewisse Bequemlichkeit und Aufgabe der Eigenverantwortung.
  9. Elastische Arbeitsnachfrage, Veränderung von Erwerbsbiographien: Bedingt durch interne wie auch externe Einflüsse werden immer mehr normale Arbeitsplätze durch atypische Beschäftigungsmodelle außerhalb der Sozialversicherung ersetzt. Dies erfordert Flexibilität von Seiten des Arbeitnehmers und führt zu starken Veränderungen in den Erwerbsbiographien. Die Gruppe der Freiberufler, Ein-Euro-Jobber, Ich-AGler und Mini-Jobber können zwar flexibel auf das Arbeitsangebot reagieren, müssen sich aber auf dünnes Eis begeben und vernachlässigen die eigene Absicherung oder können diese nicht bezahlen. Sie werden von der Sozialversicherung fast gänzlich ausgeschlossen (soziale Segregation).
  10. Entwicklung der Vermögens- und Einkommensverteilung: Die Umverteilung von oben nach unten gelingt nicht. In der „Winner-take-all-Gesellschaft“ (Frank, Robert H./Cook, Philip J.) werden die Reichen reicher, die Armen ärmer. Das zeigt auch der zweite „Armuts- und Reichtumsbericht“ der Bundesregierung: Zwar nahm das Nettogesamtvermögen zwischen 1998 und 2003 um 17 Prozent zu und beträgt inzwischen fünf Billionen Euro. Aber dieses gewaltige Vermögen verteilt sich extrem ungleich auf die Menschen in Deutschland: Die reichsten zehn Prozent der Haushalte verfügen über 46,8 Prozent des Vermögens, wobei seit 1998 noch 2,4 Prozentpunkte hinzugekommen sind. Ganz anders das Bild bei den unteren 50 Prozent aller Haushalte: Ihr Anteil am Gesamtvermögen hat sich auf 3,8 Prozent weiter verringert.
  11. Prekariat: diskontinuierliche, atypische, prekäre Arbeitsverhältnisse - Abnahme der Normalarbeitverhältnisse, Scheinselbständigkeit, Soziale Frage im 21. Jahrhundert: Feudale Klassenstruktur innerhalb der Beschäftigten. Flexibilisierung, Heterogenisierung und Entgrenzung
  12. Grenzen der Monetarisierung in der Wissensökonomie. So arbeiten Millionen von Menschen an der Weiterentwicklung des Internets, dadurch dass sie Inhalte erstellen oder Software entwickeln, damit Geld verdienen ist aber sehr schwierig.

3.3 Ungerechtigkeiten Seitenanfang

Die oben aufgeführten exogenen und endogenen Probleme führen zu Ungerechtigkeiten, wodurch die Legitimation und Akzeptanz der sozialen Sicherungssysteme immer wieder in Frage gestellt wird. Leistungsüberschneidungen und Leistungslücken kennzeichnen das soziale Sicherungssystem: Auf der einen Seite gibt es Möglichkeiten des Missbrauchs (Trittbrettfahrer), auf der anderen Seite fallen immer mehr Bürger durch das soziale Netz. Außerdem gibt es noch folgende endogene Probleme, die Ausdruck des sozialpolitischen Blockadeknotens sind:

  1. Ungerechte Lastenverteilung: Ungerechtigkeiten hinsichtlich der Umverteilungswirkung: Leistungsüberschneidungen als auch Leistungslücken, Armutsfalle, Besserstellung von Bedürftigen innerhalb der Krankenversicherung und der Rentenversicherung (Grundsicherung für über 65jährige).
  2. Einseitige Belastung des Arbeitseinkommens. Als Berechnungsgrundlage für die Sozialversicherung dient fast ausschließlich das Arbeitseinkommen. Andere Einkünfte, wie Mieteinnahmen und Kapitalerträge bleiben weitgehend unberücksichtigt. Das führt dazu, dass diejenigen, die aufgrund eigener Reserven auf staatliche Unterstützung verzichten könnten, trotzdem Leistungen erhalten.
  3. Keine gerechte Lastenverteilung, die Sozialversicherungssysteme tragen neben dem Steuersystem zur Ausbeutung der Familie bei - Kinder als Armutsgrund. Kinderlose mit normalen Arbeitsverhältnis werden bevorzugt und Eltern mit Kinder sowie Arbeitnehmer mit atypischen Arbeitsverhältnissen sind die Verlierer im System. Vor Einführung der Sozialversicherung ging es demjenigen schlecht, der keine Kinder hatte. Heute spart sich reich, wer keine Kinder hat, denn Kinderlose mit normalem Arbeitsverhältnis werden gegenüber Familien sowohl bei der Sozialversicherung als auch bei den Steuern bevorzugt. Im Steuerrecht und bei der Sozialversicherung werden Arbeitnehmer ohne Kinder gegenüber Familien bevorzugt. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem so genannten „Trümmerfrauenurteil“ vom 7. Juli 1992 festgestellt: "Die Familie, in der ein Elternteil zugunsten der Kindererziehung aus dem Erwerbsleben ausscheidet, nimmt im Vergleich zu Kinderlosen nicht nur Einkommenseinbußen hin, sie muss das gesunkene Einkommen vielmehr auch auf mehrere Köpfe verteilen. Wenn die Kinder in das Erwerbsleben eingetreten sind und durch ihre Beiträge die Alterssicherung der Elterngeneration mit tragen, haben die Eltern selbst eine geringere Rente zu erwarten.“
  4. Demographisches Gleichgewicht zerstört, Leben auf Kosten zukünftiger Generationen, Umlageverfahren und unterschiedliches wirtschaftliche Umfeld führen zur Benachteiligung von zukünftigen Generationen.
  5. Moral-hazard-Verhalten: Viele Menschen leben auf Kosten der Solidargemeinschaft, obwohl sie im eigentlichen Sinne nicht bedürftig sind. Nur selten machen diese Fälle Schlagzeilen, wie im Fall von „Florida-Rolf“, der tagelang die Boulevard-Presse beschäftigte. Fälle wie dieser führen dazu, dass auch tatsächlich Bedürftige als Sozialbetrüger abgestempelt werden und dadurch keine Akzeptanz in der Gesellschaft finden. Die Wurzeln des Problems liegen in der Unübersichtlichkeit des Systems, das Missbrauch und Trittbrettfahrertum begünstigt.
  6. Inverse Solidarität: Armut steigt NACH Transferleistungen, Umverteilung von unten nach oben. Nur 26,35 % der Umverteilung erreicht die tatsächlich Bedürftigen, 65,78 % der Umverteilung geht von der linken in die rechte Tasche, teilweise führt gerade diese Umverteilung von unten nach oben und  zu einer Benachteiligung der Familien mit Kindern. Die Umverteilung von oben nach unten gelingt nicht, vielmehr findet eine Umverteilung von unten nach oben statt. Oder anders formuliert: Die Schwachen tragen die Starken. Trotz immenser Ausgaben für soziale Sicherung sind Hunderttausende von Menschen obdachlos, und weitaus mehr leben unter der Armutsgrenze. Die „Europäische Kommission“ ließ für die 90er Jahre untersuchen, wie sich Sozialtransfers auf einzelne Gruppen in der deutschen Bevölkerung verteilen: Die ärmsten 20 Prozent erhielten 18 Prozent der Transfers, die mittleren 60 Prozent kamen auf einen Anteil von 58 Prozent und die reichsten 20 Prozent hatten mit 24 Prozent einen größeren Anteil, als man bei ihrem Bevölkerungsanteil erwarten würde.
  7. Bevorzugung und Subventionierung von etablierten Interessengruppen. Zu hohe Subventionierung von bestimmten Gruppen (arbeitsfähige Personen und Rentner). Rentner werden, obwohl es Altersarmut kaum mehr gibt, nicht genügend an den Gesundheitskosten beteiligt. Strukturelle Benachteiligung von nicht bzw. schwach organisierten und wenig konfliktfähigen Gruppen gegenüber etablierten Interessengruppen. Spitzenverdiener nicht in der Krankenversicherung. Die meisten staatlichen Zuschüsse fließen in die Rentenversicherung. Ein Drittel davon (ca. 80 Mrd. Euro) wird aus Steuern finanziert. Von der Rentenversicherung profitieren jedoch insbesondere Menschen, die ein normales Arbeitsverhältnis hatten und deshalb kaum auf staatliche Unterstützung angewiesen sind. Außerdem werden Rentner nur zur Hälfte an ihren Gesundheitskosten beteiligt, obwohl es Altersarmut kaum mehr gibt. Das „Institut für Wirtschaft und Soziales“ (WISO) hat ausgerechnet, dass im Jahr 2000 die erwerbstätigen Krankenversicherten die Rentner mit 62 Milliarden DM subventioniert haben.
  8. Leistungsmissbrauch und zu hohe Unterstützung für arbeitsfähige Personen: Seit Einführung des Arbeitslosengeld II werden erwerbsfähige Personen zwar nur begrenzt unterstützt. Weil es aber keine Mindestlöhne gibt, ist Leistungsmissbrauch weiterhin möglich. Denn Mindestlöhne könnten die Aufnahme von Arbeit attraktiv machen: So betrug der niedrigste tarifliche Stundenlohn in Ostdeutschland 2003 2,74 Euro; auch in vielen westdeutschen Tarifverträgen gab es Lohngruppen, in denen die Stundenlöhne unter sechs Euro lagen. Ein Mindestlohn könnte dazu beitragen, dass der Abstand zwischen geringem Einkommen und Sozialleistung zunimmt – und damit ein Anreiz entsteht, Arbeitslosigkeit zu beenden. Außerdem wäre es sinnvoll, den Steuerfreibetrag zu erhöhen: Liegt er deutlich über dem Existenzminimum (+10 Prozent), zahlt sich Arbeit eher aus. Schließlich sollten arbeitsfähige Personen gemeinnützige Arbeit leisten - als Gegenleistung für finanzielle Unterstützung. Leistungsmissbrauch und zu hohe Unterstützung für arbeitsfähige Personen (Grundsicherung, Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe), Abstand zu Arbeitseinkommen ist oft nicht gegeben.
  9. Soziale Segregation: In Deutschland bilden sich neue Ungleichheitsstrukturen, von einer „Spaltung der Stadt“ ist die Rede: 10 bis 20 Prozent der Großstadtbevölkerung leiden unter Einkommensarmut, die Zahl der Sozialhilfeempfänger und Langzeitarbeitslosen steigt. Im Gegensatz zu traditionellen Formen der Armut hat dieser Ausgrenzungsprozess zur Folge, dass für die betroffenen Haushalte der Abstand zu den durchschnittlichen Standards der Lebensführung immer größer wird. Hartmut Häußermann stellt fest: „Der Ausgrenzungsprozess erreicht seinen Höhepunkt, wenn Individuen oder Haushalte (…) weit von der Mitte der Gesellschaft entfernt sind, und wenn dies mit einer ‚inneren Kündigung’ gegenüber der Gesellschaft zusammentrifft, die sich in Resignation, Apathie und Rückzug äußert“ (Häußermann: http://www.bpb.de/publikationen/DUX6L3,0,Die_Krise_der_sozialen_Stadt.html).

Ergebnis: Die steigenden Finanzierungsprobleme zeigen es: Mit dem bestehenden "Schönwettersystem", das in Zeiten der Hochkonjunktur und Vollbeschäftigung entstanden ist, kann auf die heutigen Gegebenheiten nicht adäquat reagiert werden. Sowohl endogene als auch exogene Probleme des Sozialsystems führen dazu, dass die Handlungsmaximen (Leitlinien, Ziele und Prinzipien) der Gesellschaft und der sozialen Sicherheit verletzt werden. Ungerechtigkeiten sind die Folge, was zu sinkender Akzeptanz und Legitimation der Sozialpolitik führt und so die Gefahr der politischen Instabilität erhöht.

 
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Quelle:
soziale-sicherheit.de/blockadeknoten.htm

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